16 Dec 2023

To tax or not to tax, that is the question...

Am Mittwoch kündigte die Bundesregierung an, klimaschädliche Subventionen abzuschaffen und die EU-"Plastiksteuer" auf die heimische Wertschöpfungskette umzulegen. Dieser Blogbeitrag untersucht die Auswirkungen dieser Umverteilung, die Herausforderungen im Kunststoffrecycling und die Notwendigkeit einer nationalen Plastiksteuer, die nachhaltige Praktiken fördert.

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Am Mittwoch verkündete die Bundesregierung, dass sie im Rahmen der Haushaltskonsolidierung klimaschädliche Subventionen abschaffen und die sog. “EU-#Plastiksteuer” nunmehr auf die Wertschöpfungskette in Deutschland umlegen will. Der Aufschrei aus der Branche ist groß, dabei sind die exakten Details noch unklar. Was genau steckt dahinter? Ein Versuch der Einordnung in der Recycling- und Kunststoffdebatte.

Seit dem Brexit erhebt die EU-Kommission einen neuartigen Mitgliedsbeitrag zur Finanzierung des EU-Haushalts, um die weggebrochenen Einnahmen Großbritanniens zu kompensieren (umgangssprachlich “EU Plastiksteuer”). Dieser richtet sich nach der Menge von nicht recycelten Kunststoffverpackungen pro Mitgliedsland, und zwar 800€ pro Tonne. Das sind für Deutschland immerhin 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Bisher wurde dieser Beitrag aus dem regulären Bundeshaushalt finanziert, mit anderen Worten: von allen Steuerzahlern.

Eine Lenkungswirkung hin zu weniger schlecht-recyclingfähigen Kunststoffverpackungen wurde bisher dadurch gerade nicht erzielt. Denn der einzelne Verbraucher hat nicht in der Hand, wie recyclingfähig eine Verpackung ist, die hier auf den Markt kommt. Dennoch zahlt er die Zeche. Taxation without plastic packaging representation.

Recyclingfähgikeit ist trotz aller Bemühungen immer noch leider nur eine nachrangige Priorität für Markenhersteller und Verpackungsentwickler. Anders ist kaum zu erklären, warum der “Recyclingeuropameister Deutschland” noch im Jahr 2021 erschreckende 64% aller Kunststoffabfälle verbrennt während die Rezyklateinsatzquote stagniert oder sogar rückläufig ist (Quelle: Conversio Market & Strategy GmbH, Stoffstrombild Kunststoffe 2021). Mit anderen Worten: Wir verbrennen Rohöl und nennen es euphemistisch “thermische Verwertung”.

Kurzum: Alle Steuerzahler kommen damit für die Externalitäten eines Wirtschaftszweiges auf, ohne dass die Verursacher einen Anreiz hätten, ihre Produktionsprozesse nachhaltiger zu gestalten.

Hier muss eine durchdachte nationale “Plastiksteuer” ansetzen. Diese sollte mehrere Dimensionen berücksichtigen:

1. “Unlevel Playing Field” pro nachhaltige Kunststoffe schaffen. Seit Jahrzehnten wird die Herstellung von Neuware-Kunststoffen privilegiert und künstlich günstig gehalten: Die Hersteller müssen die Energiesteuer (früher Mineralölsteuer) nicht entrichten, obwohl ihr Produkt weltweit zu 99% noch aus Rohöl hergestellt wird. Wir müssen also umgekehrt genau dahin kommen, dass die nachhaltigen Kunststoffe (also solche aus vorrangig mechanischen Rezyklaten und aus nicht-fossilen Rohstoffquellen) relativ begünstigt werden gegenüber Neuware. Und zwar massiv, denn die Kreislaufwirtschaft bleibt eine hehre Illusion, solange Neuware im Schnitt günstiger ist als Rezyklate. Die Abschaffung des Energiesteuer-Privilegs wäre ein wichtiger Schritt dorthin.

2. Keine Diskriminierung des Kunststoffes als solches. Kunststoff aus nicht-fossilen Quellen und mit hoher Wiederverwendbarkeit/Recyclingfähigkeit ist einer der zentralen Säulen hin zu einer vollständig #regenerativen Chemie- und Kreislaufwirtschaft. Eine Ausweichbewegung, insbesondere auf andere Verpackungsmaterialien oder Verbundverpackungen, muss verhindert werden. Das ist aber kein Hexenwerk, wenn der Gesetzgeber dies von Anfang an im Blick behält. Die Arbeit der Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) rund um den Mindeststandard sollte in ganz Europe Schule machen; eine Pönalisierung des Verpackungs-Kunststoffes, der gut recyclebar ist - und tatsächlich auch recycelt wird - ist widersinnig.

3. Ökobilanz als Grundlage für die Nachhaltigkeit von Kunststoffen heranziehen, aber in den richtigen Systemgrenzen. Oftmals fällt im Vergleich der verschiedenen Verpackungsmaterialien die Ökobilanz der Kunststoffe in der Herstellungs- und Nutzungsphase sehr positiv aus gegenüber alternativen Materialien. Dieser Fakt wird leider oft in der emotional geführten öffentlichen Debatte nicht hinreichend berücksichtigt. Aber genauso gilt: Traue keiner Ökobilanz, die nicht auch das konkrete “end of life” einer Verpackung mit berücksichtigt. Hier schneiden die Kunststoffverpackungen noch nicht gut genug ab: Verbrennung und Export (15% ins EU-Ausland) statt Wiederverwendung und Recycling ist noch viel zu oft das derzeitige Schicksal von Einwegkunststoffverpackungen. Genau umgekehrt müsste es sein.

4. Rezyklateinsatzquoten auf europäischer Ebene und für alle Industrien verankern. Man kann lang und breit über theoretische Recyclingfähigkeiten, technologieoffenes Recycling und die Abfallhierarchie diskutieren. Entscheidend sind am Ende in einer Marktwirtschaft der Preis und die Nachfrage nach zirkulären Kunststoffen, um Abfälle zu vermeiden, Wiederverwendung und Recycling voranzutreiben und eine nachhaltigen Kunststoffwirtschaft zu realisieren. Die virgine Kunststoffproduktion hat gegenüber der Kreislaufwirtschaft einen technologischen und organisatorischen Vorsprung von mindestens 40 Jahren. Das führt zu geringen Grenzkosten für die nächste Tonne Neuware-Plastik und zu einer Sorglosigkeit im Umgang mit diesem wertvollen Material, die richtigerweise mit dem Begriff "Wegwerfmentalität" tituliert wird. In einer Kunststoffwirtschaft, die wegkommt von lineraren Produktionsprozessen, muss dieses Technologie- und Skaleneffekt-Differenzial zwischen Neuware und zirkulärem Kunststoffen mittels eines "Technologie- und Investitionsboosters" seitens des Gesetzgebers überwunden werden.

Rezyklatpreise und Absatzmengen kannten in den letzten 18 Monaten nur eine Richtung: nach unten. Hier am Beispiel der LDPE-Folien Natur: ein Preisverfall gegenüber Juli 2022 von fast 40%. Quelle:

PE-LD price development graph from 2020 to 2023

Hierfür bieten sich #Rezyklateinsatzquoten als probates Mittel an, wie sie derzeit im Rahmen der Europäischen Verpackungsverordnung (#PPWR) und Altfahrzeugverordnung (#EOLR) diskutiert werden. Dabei sollten sie einem strengen Subsidiaritätsprinzip folgen, um technologische Fehlsteuerungen zu vermeiden. In den Genuss der Quoten sollten nur diejenigen Produzenten kommen, die sich auf der jeweils ökologisch sinnvollsten Stufe signifikant engagieren (ausgedrückt in CapEx und R&D spent). So wird auch sichergestellt, dass die Wertschöpfungsteilnehmer ihre Rollen in der zirkuläre Zukunft neu definieren und nicht ihr altes "Silodenken" in den Transformationsprozess übertragen.

5. Digitalisierung und KI als Schlüsseltechnologien für echte Kreislaufwirtschaft etablieren. Fakt ist: bei knapp 52 Millionen Tonnen verarbeiteten Kunststoffen in Europa fehlt von daraus resultierenden ca. 8-15 Millionen Tonnen Kunststoff(abfall) jede Spur (Quelle: Systemiq Ltd., Reshaping Plastics, 2022). Die Abfallwirtschaft ist im wahrsten Sinne eine "Black Box": Sobald der Verbraucher seine Kunststoffverpackung oder sein Altauto der Entsorgungswirtschaft übergibt, verlieren wir als Gesellschaft den Überblick, was genau wo mit den Kunststoffen passiert.

Quelle:

Graph that shows plastic demand and waste figures 2019

Und selbst wenn diese Abfälle erfasst und gesammelt werden, muss ein Verwerter diese Abfälle sortieren und kostenintensiv mit Daten anreichern um zu entscheiden, ob und in welcher Qualität der Abfall überhaupt recycelt werden kann. Die Komplexität steigt noch weiter an, wenn wir es mit Materialien zu tun haben, die langlebig sind und zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Abfall werden. Hochwertiges Recycling braucht aber möglichst homogene Stoffströme in kontinuierlichen Mengen. Dieser Komplexität kann man in einer skalierbaren Kreislaufwirtschaft nur mithilfe der Digitalisierung Herr werden. Aufbauend auf einer grundlegenden Digitalisierung des Materialstroms von Herstellung, über Verarbeitung, Verwendung und letztlich Entsorgung, Wiederverwendung oder Recycling sind eine Vielzahl von Anwendungen denkbar, wo künstliche Intellgenz dabei helfen kann, verlässliche Supply Chains im globalen Maßstab für zirkuläre Kunststoffe zu etablieren. Ein Steuer mit Lenkungswirkung greift daher nicht nur das Preisdifferenzial zwischen Neu- und Altware auf. Sie nutzt ebenfalls die Chance, die Kreislaufwirtschaft in die digitale Zukunft zu katapultieren.

Alles in allem also: eine gute Woche für die regenerative Kunststoffwirtschaft, wenn diese Dimensionen berücksichtigt werden.

Ich drücke der Bundesregierung die Daumen, dass sie nun in eine handwerkliche saubere Umsetzung der nationalen Plastiksteuer kommt, die die hier genannten Dimensionen berücksichtigt. So könnte sie einen echten Beitrag zur Nachhaltigkeitswende in der Kunststoffindustrie leisten.

Autor: Christian Schiller, CEO Cirplus